Der Abschied von unserer schönen Ferienwohnung in der „Villa Elsa“ und von der Insel Usedom fällt uns zugegebenermaßen schwer. Dirty Harry, der sieben Tage geduldig auf uns gewartet hat, freut sich, als wir wieder bei ihm einziehen. Jetzt heißt es erneut, auf kuscheligen paar Quadratmetern zurecht zukommen. ;-))
Bevor wir die Insel endgültig verlassen, besuchen wir noch den „Karls Erlebnishof “ in Koserow. Diese Art von Bauernmärkten mit angeschlossenen Freizeitpark für die ganze Familie, gibt es hier im Osten von Deutschland 5x. Hier kann man ausgemachte Spezialitäten aus der Region kaufen und im Hofladen zuschauen wenn fleißige Bäcker leckeres Brot frisch backen und die MitarbeiterInnen Marmelade auf traditionelle Weise zubereiten. Wir kaufen von beiden Produkten eine Menge ein. Dabei hat es uns die Himbeermarmelade von Karls besonders angetan. Jetzt im Herbst gibt’s natürlich viele Produkte aus Kürbis.
Über Wolgast verlassen wir Usedom und freuen uns jetzt auf die Insel Rügen. Dort waren wir noch nie. Auf meiner Buckit List stehen nämlich die Kreidefelsen von Rügen, in unmittelbarer Nachbarschaft von Orten wie z.B. den Niagarafällen in den USA oder dem Tafelberg in Südafrika. Hinter manchen Orten ist schon ein Haken, auf die anderen Sehenswürdigkeiten freue ich mich noch. Es ist alles im Fluß. Auf dem Weg nach Rügen kommen wir an der wohl berühmtesten Klosterruine Deutschlands vorbei. Das kann ich mir ja nicht entgehen lassen, habe ich doch ein Faible für Klöster und Kirchen und ihre Geschichten. Leider sind von dem ehemaligen Zisterzienserkloster Hilda aus dem Jahr 1199 nur noch die Reste übrig. Dennoch muss ich mir das alles anschauen. Ich stelle mir vor, wie früher die Menschen nach Eldana kamen und ehrfürchtig an dem riesigen Klostertor um Einlass gebeten haben. Ich höre das schwere Tor quietschen, wenn der Bitte von dem Torwächter entsprochen wurde.
Später am Tag durchstreifen wir Stralsund. Die Stadt am Strelasund gilt als das Tor zur Insel Rügen. Aus dem slawischen Fährdorf Stralow entwickelte sich im 13. Jahrhundert die reiche Hansestadt Stralsund, deren Blütezeit bis ins späte Mittelalter reichte. Die vielen Baudenkmäler zeugen noch heute vom Wohlstand der hanseatischen Kaufmannsfamilien. Die UNESCO hat die historische Altstadt in die Welterbeliste aufgenommen.
Im Hafen können wir am Fischbrötchen und Störtebeker nicht vorbeigehen. Ein einzigartiger Kontrast bildet das moderne Ozeaneum neben dem alten Polizeigebäude, dass der ein oder andere vielleicht aus der Krimireihe >Stralsund< kennt.
In der untergehenden Sonne fahren wir über die eindrucksvolle Rügen-Brücke auf Deutschlands größte Insel. Ich bin in stimmungsvoller Erwartung und gespannt was wir auf der Insel alles erleben werden.
Wir wollen uns dort, wenn das Wetter mitspielt einige Tage Zeit nehmen. Erstes Ziel ist natürlich die berühmte Kreideküste im Nationalpark Jasmund an der Nordostküste. Da wir diese erst im Dunkeln erreichen würden, übernachten wir in der Nähe von Sagard in einem kleinen Hafen. Wunderbar ruhig direkt an der Ostsee.
Am nächsten Morgen werden wir durch ein lautes Klopfen unsanft geweckt. Ein Mann erklärt uns mit barscher Stimme, dass wir mitten im Naturschutzgebiet stünden und sofort wegzufahren hätten. Wir erwidern, dass wir keinerlei derartige Hinweise bei unserer Ankunft gesehen hätten. Wir hätten uns absichtlich etwas abseits gestellt, damit wir die Bootsbesitzer nicht beim Rangieren mit ihren Booten behindern. Im kleinen Hafen herrschte geschäftiges Treiben, denn die Boote wurden aus dem Wasser geholt und auf bereitstehende Trailer gehievt und winterfest gemacht. Den Mann beeindruckte unsere Weitsicht überhaupt nicht. Ein mürrisches hmmh, hmmh, ertönt und er zieht ab. Wir fahren natürlich auf den Parkplatz vor den Hafen und schlafen nochmal ne Runde. Dieter ärgert sich total über diesen, wie er sagt, selbsternannten Sheriff. „Der Klügere gibt nach“ sage ich, und wir beobachten das Treiben in dem Hafen. Fasziniert sind wir von hunderten wenn nicht sogar tausenden Kranichen in unserer Nähe. So tolle Tiere sind das, die sich hier auf den Feldern nochmal stärken und dann in wärmere Gefilde fliegen. Darüber vergessen wir den griesgrämigen Menschen schnell.
Nach einem ausgiebigen Frühstück gehts dann endlich in den kleinsten Nationalpark unseres Landes und dort auf den Wohnmobilparkplatz Hagen. Von hier aus ist man nach ca. 3 Kilometern im Nationalpark-Zentrum Königsstuhl. Ich bin ganz zappelig vor Aufregung. So ganz in der Nähe des berühmtesten Kreidefelsens zu sein, das hat schon was.
Wir ziehen unsere Wanderklamotten an und nehmen Proviant und Wasser im Rucksack mit. Unterwegs mit vielen anderen Menschen, es ist Sonntag, wandern wir durch die dichten Buchenwälder, die ebenso wie die Kreideküste nun auch zum UNESCO-Welterbe gehören.
Ich betrachte die Leute um mich herum und fühle mich ziemlich overdressed in meinen atmungsaktiven Wandersachen. Die Frauen tragen Pumps, Faltenröcke und Handtaschen, manche Männer ihren Sonntagsstaat. Na ja, denke ich, dann wird es ja nicht so anstrengend werden heute. Oder muss man sich für den Königsstuhl besonders fein machen?! Ich bin etwas verunsichert. So kommen wir an den Eingang des Nationalparkzentrums und müssen auch noch Eintritt zahlen 9.80 Euro pro Person! Na gut, was tut man nicht alles für die Erhaltung der Natur und dass man hier sein darf an der berühmten Kreideküste. Im Zentrum erfahre ich, dass der besagte Felsen 118 Meter hoch ist und dass sich um seinen Namen viele Sagen ranken. Einige Experten denken, dass der Name aus der alten Sage stammt, dass derjenige, der als erstes den Königsstuhl von der Seeseite her erklimmen konnte, auch König wurde. Eine andere Quelle behauptet, der Name Königsstuhl soll auf ein Ereignis im Jahre 1715 zurückgeführt sein, bei dem der schwedische König Karl XII. von dieser Stelle ein Seegefecht gegen die Dänen geleitet haben soll. Das Gefecht ermüdete den Herrscher angeblich derart, dass er sich einen Stuhl bringen ließ. Herrlich! Ich liebe solche Geschichten.
Ich kann es jetzt nicht mehr abwarten auf die berühmteste Kreidefelsformation zu kommen. Und dann ist es soweit. Ich mache das was rund 300.000 Besucher im Jahr auch machen, ich gehe über den immer schmaler werdenden Zugang auf das Plateau des Köngsstuhls. Und was sehe ich? Nichts sehe ich! ich stehe ja obendrauf auf dem Felsen. Das hatte ich mir allerdings etwas anders vorgestellt. Dementsprechend motze ich rum. Um die Ostsee unter mir zu sehen und links und rechts einige Fragmente von Kreidefelsen, dafür muss ich hier Eintritt zahlen :-((.
Wir beschließen dem Hochuferweg noch ein Stück zu folgen, um vielleicht von einer anderen Stelle einen Blick auf den berühmten Felsen zu erhaschen. Und wir werden belohnt. Dieser bekannte Wanderweg, für den man nicht bezahlen muss, führt vom Ort Lohme über den Kamm der Kreideküste nach Sassnitz und ist etwa 11 km lang. Wir marschieren zügig über die hügelige aber wunderschöne Strecke. Sie ist durch die Höhenunterschiede konditionell ziemlich herausfordernd, ich bin jetzt froh dass wir die richtigen Klamotten anhaben. Jetzt begegnet uns auch niemand mehr mit Pumps und Handtasche.
;-)) Das Highlight aber beginnt, als wir einen Abzweig an den Strand finden. Nun erleben wir die ganze Schönheit dieses Küstenabschnitts! Am Anfang bin ich ganz euphorisch. Endlich bin ich da, wo ich schon ganz lange sein wollte. Am Strand auf den Kieselsteinen zu laufen ist zwar ziemlich anstrengend, aber die Glückshormone tragen mich.
Das ändert sich etwas als die Küste irgendwie kein Ende zu nehmen scheint. An vielen Stellen ist der Strand sehr schmal und man geht direkt an den weißen Kreidefelsen vorbei. Dabei kannst du die Fragilität des Gesteins hautnah wahrnehmen. Es bröckelt leise vor sich hin ab und permanent läuft Wasser den Fels hinab. Wenn ich hochschaue läuft es mir kalt den Rücken runter.
Die Bäume hoch über uns an der Kante neigen sich gefährlich nach unten. Am Strand sind Erdrutsche und herabgestürzte Bäume zu übersteigen. Mit viel Ehrfurcht, einem gewissen unwohlen Bauchgefühl und großem Respekt vor diesen Naturgewalten, legen wir die letzten Kilometer bis ins Seebad Sassnitz zurück.
Das war eigentlich ja gar nicht geplant. Wir hätten aber nicht umkehren wollen. Ich hatte irgendwo gelesen, dass es ganz gute Busverbindungen in der Gegend gibt, die auch im Nationalpark verkehren. Aber jetzt sind wir erstmal total kaputt. 15 km sind wir gelaufen. Ich fasse es nicht. Im Hafen von Sassnitz gibts eine Stärkung. Lange hat das Fischbrötchen nicht mehr so gut geschmeckt. Das Bier kam im Plastikbecher. Ich verstehe es nicht. Plastik an so einer idyllischen Stelle. „Die spinnen, die Ossis“ würde Asterix jetzt sagen.
Nun suchen wir den Busbahnhof. Das ist etwas schwierig, wenn man zwar ein Handy dabei hat, aber fast keinen Empfang. OK, dann muss der analoge Kanal ran. Ich frage die Leute, die uns entgegen kommen. Die wissen es meist selber nicht, sind Touristen wie wir. Irgendwann gibt es Hinweisschilder. Noch 1,5 km. Puh, normalerweise würde mir das nichts ausmachen, aber nach der Wanderung fällt jeder Meter schwer. Ein Taxi gibt es gerade auch nicht. Wir finden den Busbahnhof, kapieren den komplizierten Fahrplan, berücksichtigen das Wochenende ist und die Fahrintervalle größer sind. Wir verstehen, dass wir mit dem Bus Nr. 23 bis zur Haltestelle „Abzweig Königsstuhl“ fahren und dort in den Pendelbus zu unserem „Parkplatz Hagen“ umsteigen müssen. Uns bleibt noch ausreichend Zeit. Dieter geht in den nahegelegenen Supermarkt und kauft ein Sixpack Lübzer-Bier. Das in unserem Womo zu öffnen und auf diesen ereignisreichen Tag anzustoßen, darauf freuen wir uns total. Ich höre es schon zischen—- aber der Tag ist noch nicht zu Ende! Der Bus Nr. 23 kommt und wir sind die einzigen Gäste. Wer fährt schon um diese Uhrzeit noch in den Nationalpark, erklärt uns der Fahrer. Wir lösen die Fahrkarte schon direkt bis zu unserer Haltestelle „Parkplatz Hagen“. Der Fahrer ist zwar auch wortkarg, sagt uns aber wo wir aussteigen- und auf der anderen Straßenseite auf den Pendelbus warten sollen. Wir bedanken uns, denn durch eine Baustelle am Eingang des Nationalparks ist die Lage durch Absperrgitter etwas unübersichtlich. Wir stehen also da in der Dämmerung am Waldrand, ganz alleine mit unserem Sixpack und warten müde auf den Anschlussbus.
Der kommt tatsächlich, ich nehme meinen Rucksack hoch und gehe auf den Bus zu. Der dicke Fahrer darin schüttelt den Kopf und ich bin wie vor den Kopf geschlagen. Was soll das heißen, das er nicht anhalten will oder was?! Wir gehen entschlossen auf den Bus zu. Er muss jetzt anhalten, öffnet auch die Tür und erklärt uns lautstark, dass hier keine Haltestelle sei, und dass er uns deshalb auch nicht mitnehmen könne. Wahrscheinlich hilft ihm seine Uniform sich besonders wichtig zu fühlen. So ein Verhalten wie der an den Tag legt. Wir erklären ihm, dass der andere Busfahrer uns genau erklärt hat, wo wir uns hinstellen sollen, und dass wir auch den Fahrpreis schon entrichtet haben. Das interessiert den Typen überhaupt nicht. „Ein Anderer hätte erst gar nicht angehalten“ ist seine lapidare Antwort und schaut auch noch provozierend auf unser Bier. Dabei wird es dunkel und kalt. Kein Mensch ist mehr weit und breit. Ich denke, ich bin im falschen Film. Ich stelle mich in die Tür und sehe dadurch erst, dass der Bus voller Leute ist. Gleichzeitig ist es mucksmäuschenstill still dort drinnen. Keiner sagt was! Bei uns im Rheinland hätte längst schon jemand gesagt : „Pass op Jung, nimm die Leute schon mit, wat soll dä Quatsch“! So muss es wohl früher in der DDR zugegangen sein, denke ich. Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen. Bloß nicht auffallen. Ich will nur noch nach Hause. Deshalb verhalte ich mich ganz devot und frage erschöpft den Fahrer: „Nehmen Sie uns doch bitte trotzdem mit, auch wenn hier durch die Baustelle keine offizielle Haltestelle mehr ist“. Nach einer gefühlten Ewigkeit genehmigt der Fahrer hoheitsvoll dass wir einsteigen dürfen. Die Menschen im Bus kapieren plötzlich ihr Verhalten und bieten uns überschwänglich Plätze an, jetzt wo das Problem gelöst ist. Wir wollen nicht sitzen, wir wollen nur noch ins Wohnmobil! Dort angekommen, trinken wir nicht nur das Bier, sondern auch noch einen doppelten Whisky. Nachhaltig hat uns dieses Negativereignis nach einem solch wunderbaren Tag berührt. Wir überlegen, ob wir am nächsten Morgen nicht sofort abreisen sollen. Wir verstehen das Dienstleistungsbewusstsein und überhaupt die Art einiger Menschen einfach nicht. Naja, hier kommt wohl gerade das gesammelte Gefühl für einige „Muffköpfe“, denen wir begegnet sind, zum Ausdruck. Gibt es anderswo bestimmt auch, scheinbar habe ich gerade eine besonders sensible Phase in der Wahrnehmung meiner Mitmenschen!
Bekanntlich sieht die Welt am nächsten Morgen meistens anders aus. Obwohl die Nacht ziemlich unruhig war, da heftiger Wind uns ziemlich durchschüttelt und nervige „Geräusche“ auf dem Dach des Wohnmobils uns wenig schlafen lassen. Mein Techniker stellt fest, das die neu montierten Solarplatten unter Windeinwirkung vibrieren. Da müssen wir noch eine Lösung finden!
Wir besprechen, dass die Natur ja nix dafür kann. Irgendwie bekommen wir die Kurve und beschließen noch einen Tag zu bleiben, den Hochuferweg auch noch bis nach Lohme, also an den Anfang der Steilküste zu gehen. Ich hatte gelesen, dass es dort ein Café mit dem romantischen Namen >Café Niedlich< gibt. Wir schütteln das unangenehme Gefühl, das sich seit gestern eingestellt hat ab und gehen los in die andere Richtung nach Lohme. Heute haben wir wieder Wetterglück, die Fernsicht ist wunderbar, bis zum Cap Arkona können wir sehen. Der Wald ist wie ein Zauberwald, mit ein wenig Phantasie kann man sich verschiedene Gestalten in den Bäumen vorstellen. Ein bißchen spinnen ist ganz entspannend nach gestern. Ich gehe einer Lieblingsbeschäftigung nach. Blätter hochwerfen! :-))
Das Café hat den letzten Tag geöffnet. Es gibt zwar keinen Milchreis mehr, aber dafür einen heißen Apfelstrudel mit Eis und Sahne für mich und für Dieter leckeren Kirschkuchen.
Der Wirt erzählt uns, dass es hier im Nordosten nicht so überlaufen ist, wie in den bekannten Orten auf Rügen, Binz und Sellin. Dorthin wollen wir übrigens auch noch fahren. Aber darüber erzählt ein weiterer Bericht. Wir genießen die Ausblicke auf die raue Ostsee und später den Rückweg oberhalb des Strands und durch die endlosen Buchenwälder. Wieder waren wir fleißig und haben 10 km gemacht. Die unendliche Natur ist dabei Labsal für unsere irritierte Seele.
Im Wasser der Ostsee liegt mal eben der größte Findling ausserhalb Helgolands. Einen genialen Golfplatz mit schickem Hotel gibt auch in der Gegend um Lohme. Die Insel hält an jeder Ecke Überraschungen bereit. Und dann noch die intensiven Farben des Herbstes genießen, einfach wunderbar.
Wow!
Das nenn‘ ich mal „ausführlich“! Da wären wir uns fast über den Weg gelaufen – waren letzte Woche am Kreidefelsen …
Bleibt gesund, wir sehen uns drauzzen!
😉
Liebe Grüße, René